BAND I
Dies ist Band I der Geschichte um den Bürgerkrieg Endurias.
Bemerkung des Autors: Dies ist eine erste, jedoch umfangreich korrigierte Version. Konstruktive Kritik, auch an Details, ist gern gesehen, ebenso wie positive oder negative Rückmeldungen. Ich bitte jedoch darum, keine eigenständigen Änderungen vorzunehmen und lediglich im Diskussionsbereich darauf hinzuweisen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Die Bestienschlacht von Vellas Than
- 1.1 Vorwort
- 1.2 Prolog
- 1.3 Kapitel I – Von Schatten und Blitzen
- 1.4 Kapitel II – Von Jubel und Macht
- 1.5 Kapitel III – Von Bestien und Einheit
- 1.6 Kapitel IV – Von Krieg und Verdammnis
- 1.7 Kapitel V – Von Feind und Bruder
- 1.8 Kapitel VI – Von Helden und Tod
- 1.9 Kapitel VII – Von Sieg und Verderben
- 1.10 Epilog – Von Leben und Zukunft
Die Bestienschlacht von Vellas Than
Vorwort
Viele Legenden berichten von der Schlacht um Vellas Than, als die Bestien einfielen, eine will größer und schrecklicher sein als die andere, doch was wirklich geschah, an den Tagen, da die letzten Elascar Endurias verließen, ist nur wenigen bekannt.
Niederschriften oder gar Chroniken von Vellas Than gibt es keine, und gäbe es sie, so lägen sie verschüttet in den Kellern und Kerkern des großen Turmes, begraben von Geröll und den Leichen ihrer Schreiber.
Dies nun ist eine Niederschrift von einem, der den Turm niemals mit eigenen Augen sah, der jedoch einige, die am Turm geboren wurden, seine Freunde nennen durfte und die einzelnen Erzählungen der Überlebenden aus der Bestienschlacht zu einer Einheit formte.
Hier soll vorab den Familien Donnerwetter und Eichenbalk gedankt werden, die mir die Aufzeichnungen von Jahrhunderten überließen. Dann der unvergleichbaren Ailithil Falywyr, die mir eine gute Freundin und Ratgeberin bei diesem Werk war. Und Genyc Cendanwan, dessen Tagebücher vom Fall Vellas Than ich lesen durfte und dem ich dafür sehr dankbar bin. Außerdem gilt mein Dank natürlich all denen, die mir von Fenglus Turm und den Schrecken erzählt haben.
Prolog
Vellas Than, Sitz von Fenglu il-Mach Than, ging nicht als der Schönste und nicht als der Größte der sieben erbauten Türme in die Schriften ein. Das Leben um ihn wusste kaum etwas vom Schrecken dieser Zeit, und nicht wenige von jenen, die diese Zeit erlebt haben, erzählen von Festen und Feiern, von bunten Straßen und lustigen Abenden, da der Herr selbst sich manchmal in seine Stadt begab, sich in Ruhm und Ehre zu baden.
Denn schon immer verstand es Fenglu, das Volk auf seine Seite zu bringen. Verbrachten seine Geschwister unter den Elascar ihr Leben einsam oder unter einer Schreckensherrschaft, so ließ der große Fenglu immer Recht und Gnade walten, ja gütig schien er meist zu sein, wenn er sich aus seinem Turm begab. Und auch wenn die Stimmen derer, die es wagten, sich gegen den Meister zu stellen, längst verstummt sind, so ist doch von so vielen zu hören, die im Dunkel ihr Leben ließen, als Kreaturen zur Übung für den Bestienmeister.
Zu der Zeit, da die letzten Elascar in Streit auseinander gingen, um sich ihre Herrschaftstürme zu errichten, begann Fenglu, die Besten aus allen Völkern um sich zu vereinen, doch der weise Fenglu hatte nichts Gutes im Sinn. Es war keine Schreckensherrschaft, nach der er trachtete, nein, grausameres und doch leichter zu ertragendes: Fenglu hatte es sich in den Sinn gesetzt, die Beziehungen unter der Völkern zu untersuchen. Der Neuschöpfer schuf über die Jahre immer neue Rassen, kreuzte Tier und Bestie, Mensch und Elf, Zwerg und Gnom.
Doch zuerst brauchte er die Hilfe der reinblütigen unter ihnen, denn eine Stadt wollte er errichten, wo sein Volk in Frieden leben könnte. So bat er Helra hul Galach, ihm einen Turm zu erbauen, nicht der Höchste sollte es sein, nicht der Schönste oder gar Schrecklichste, doch sollte er einen Keller haben, der sich über die ganze Ebene erstreckte, auf der er seine Stadt zu errichten gedachte.
Doch Helra hul Galach tat nicht, wie ihm geheißen. Er zog sich zu seiner eigenen Feste zurück und weigerte sich, Fenglu behilfich zu sein. Fenglu fertigte also selbst einen Plan eines Turmes an, wie er ihn sich vorstellte, der sich über der Erde nicht weit in den Himmel reckte, aus glattem, weißem Marmor sollte er errichtet werden, seine wahre Größe aber erst unter der Erde enthalten. Denn die Stadt, die Fenglu im Sinn hatte, nutzte sein Baumeister aus. Ein Keller, mit Kerkern, Vorratsräumen und den später so gefürchteten Forschungskammern des Neuschöpfers.
Sein Volk stand an seiner Seite, auch wenn es nicht mit der Herrschsucht des so gütig scheinenden Fenglu gerechnet hatte. Zu dieser Zeit trat dessen wahres Gesicht nämlich öfter zu Tage. Verbarg er seine Gefühle oft hinter harter, aber gütiger Mine, so kam es doch vor, dass er eigenhändig einen in seine Keller schleifte, und Schreie tönten stundenlang durch die Stadt, als Zeichen für die Unfolgsamen. Aber alles Sinnen und Planen half nichts: Arbeiter hatte er genug, sein Volk stand bereits um ihn, doch der Baumeister fehlte.
Es traf sich damals, dass einer der bekanntesten Baumeister aus dem kleinen Volk, der Gnom Mratesch Donnerwetter, unter dem Volk zu finden war. Sein Ruf unter seinesgleichen war einzigartig, und selbst die Zwerge schätzten den scharfen Verstand und die sicheren Konstrukte, die er erschuf.
Und auch Fenglu blieb dies nicht lange verborgen. An einem Morgen kam er zu seinem Gefolge und bat um ihre Mithilfe beim Bau des Turmes. Es waren nicht Schrecken und Zwang, mit denen er Mratesch Donnerwetter zu Hilfe bewegte, sondern die gewundenen Zungen und die Magie, die in den Worten des Elascar wohnten.
Der Bau des auf Papier gebannten Meisterwerks lief nicht ohne kleinere Übel ab. Nicht wenige Gnome fanden den Tod bei der Arbeit in den Höhen, doch der Baumeister leitete die Arbeit in Einvernehmen mit Fenglu il-Mach Than. Aber selbst als der Turm selbst stand, war den Wünschen des Herrschers noch lange nicht gerecht geworden. Aus den Tagebüchern des Mratesch Donnerwetter sind nur noch Fragmente vorhanden, doch ein Auszug besagt dies: „Er kümmert sich nicht um den Turm; die Keller sind ihm wichtiger. Höher sollte er sein, prächtiger, schmuckvoller! […] Seine Vorstellungen sind manchmal ein wenig übertrieben, aber er weiß was er will. Ich werde versuchen seine Wünsche umzusetzen.“ Und etwas später dann: "Der Turm ist vollendet, doch die Arbeit an den Kellern hält immernoch an. Je länger die Arbeiter unter Tage arbeiten, desto mürrischer werden sie, doch ich kann sie noch anspornen.“
Nun soll hier nicht vom gesamten Bau des Turmes berichtet werden, nur so viel sei noch erwähnt: Vellas Than ward im zweiten Jahrzehnt nach der Gründung Palandurs fertig gestellt, und gibt es doch nicht viele Berichte aus dieser Zeit, so unterscheiden sie sich doch in einem nie: Fenglu gelang es zu dieser Zeit, sein Volk um sich zu scharen. Nicht nur, weil er ein phantastischer Schmeichler war, auch, weil die Bestien, die er um seine Stadt ansiedelte, die Bewohner zurückhielten.
Auch diese Bestien finden in den alten Schriften des Baumeisters Erwähnung: "Ich habe sie gesehen! Ich weiß was er in den Kellern" Und auch wenn die Schrift hier unterbrochen ist, so lässt ihr Ende doch die düstersten Schlüsse zu: „morgens und abends, bei Sonnenauf- bzw. -untergang. Hätte ich mich nicht schnell versteckt, ich wüsste nicht was passiert wäre.“
Schrecklicher aber noch ist das Gerücht dieser Tage, dass er all jene, die sich schon damals gegen ihn stellten, darunter ebenso Priester wie Gaukler, Gelehrte und Landstreicher, zu seinen düsteren Experimenten in den Kellergewölben befahl, wo nicht wenige einen grausamen Tod starben oder ein noch grausameres Leben in der Gestalt eines Halbwesens weiterleben mussten.
Kapitel I – Von Schatten und Blitzen
Wir schreiben das Jahr 662 nach der Gründung Palandurs durch die Elascar. Die Horras Feldzüge sind vorüber, und das Land scheint gesäubert, doch Not und Verzweiflung haben die Bevölkerung ergriffen, denn nicht wenige junge Männer, tapfer, schön und unverbraucht, starben im Kampf für etwas, woran die wenigsten unter ihnen glaubten. Denn ohne Gnade hatten die Elascar ihr Volk in den Krieg geschickt, die einen, die es wagten, sich zu erheben, zu vernichten, doch hatten die Sieben dabei ein noch größeres Übel im eigenen Volk bewirkt. Der Wiederstand war bereit, sich in einen Aufstand zu wandeln, denn schon lange hatten die Klöster und Abteien sich gegen die Sieben gestellt, ebenso wie viele Angehörige der fünf freien Völker aus der Hauptstadt. Fenglu und Vellas Than wussten nicht viel von dieser Gefahr für die Elascar, denn die Stadt war nach Außen hin geschlossen, Handelsbeziehungen waren selten, zu gefährlich war es, die Wälder um die weite Ebene von Vellas Than zu betreten.
Und zu dieser Zeit geschah es, dass Fenglu einen seiner seltenen Ausflüge machte und am Abend zuvor versammelte er noch einmal sein Volk um sich, denn er wollte sich feiern lassen, den größten unter den Sieben, der mit seiner Forschung neues geschaffen hatte und neues noch schaffen wollte. Zu Tagesbeginn, da die Sonne sich eben erhob, brach er auf, unter Fanfaren und Trompeten und bewacht von Kriegern, in gleicher Anzahl aus Purpurgarde und Volk, die meisten von ihnen Halbelfen, Kriegskinder, doch auch einige aus dem Volk der Zwerge, und nicht zu unterschätzen, die Fährtenleser der Elfen. Menschen und Gnome waren nur sehr wenige darunter, jene aus dem kleinen Volk waren zu feinerem als dem Kampfe berufen und die Menschen hatten die Bewachung der Feste und Stadt zugeteilt bekommen, denn ein Mensch war es, der Fenglu vertreten sollte und mit Macht und Gerechtigkeit das Volk um Vellas Than verwalten sollte, bis der Großmeister mit Ruhm und Ehre zurückkehrte. Den Gnomen war es vorbehalten, für das Wohl von Turm und Kellern zu sorgen, unter Aufsicht des Großsohnes des Baumeisters Vellas Than: Knathu Donnerwetter.
Doch Fenglu kehrte nie mehr zurück, und anders als in den sieben anderen Bannkreisen, die die Elascar einst geschaffen, drang die Nachricht des Untergangs der Gotteskinder erst einige Tage später vor. Ein Adler aus den nördlichen Bergen kam mit großer Kunde aus Palandur, er landete auf der höchsten Spitze des Turmes und niemand anderes als der Statthalter persönlich empfing ihn: Dawyr Haelan, Spross der Gelehrtendynastie Haelan, die über die Jahrhunderte die Macht der Verwaltungsfäden in ihren Händen behalten hatte und sich um die kleinen und langweiligen Belange des Volkes gesorgt hatte. Der Mann an der Spitze des Turmes und des Volkes war also keinesfalls unvertraut mit der Macht des Herrschens, doch das Misstrauen der Elascar ist weithin bekannt. Und heute scheint es nur zu natürlich, dass Fenglu selbst weiter die Fäden in der Hand halten wollte. Der Mann, dem Fenglu die Macht übertrug, hatte ein Wesen im Rücken, dass an Schrecklichkeit und Bosheit wohl nur vom Bestienmeister selbst übertroffen wurde. Denn in seinen tiefen Kellern, verborgen vor dem Licht des Tages oder gar den Blicken der Götter, hatte Fenglu ein Wesen erschaffen, das er selbst als die Krone seiner Schöpfung bezeichnete: Einen Lindwurm. Und dieser Lindwurm, Fenglus Lindwurm, war es, der Dawyr Haelan seinen Atem im Nacken spüren lies. Er war der wahrhaftige Herrscher über Vellas Than, denn ihm hatte Fenglu das Geheimnis seiner Macht übergeben.
Der Bestienmeister war in der Lage, die Kreaturen, die er um die Stadt zu scharen pflegte, unter Kontrolle zu halten. Doch für seine ohnehin seltenen Reisen hatte er vorgesorgt: In dieser Zeit wachte jener, der Herr der Stadt war, über die Kreaturen. Denn Fenglus Macht war vereint in einem Stein, hoch oben in der Spitze des Turmes. Ein Stein, der an Wert über jeden Stein der bekannten Welt hinausragt. Ein Stein, der ganz Endurias und mit ihm Vellas Than in den Abgrund zu reißen drohte. Die alten Lieder der Barden erzählen von einem Obsidian, jener fast vergessenen Art von Steinen, von deren Härte und magischer Kraft nur die Überlieferungen aus der alten Zeit berichten. Denn über ihn gibt es nur weniges, was sicher ist, und vieles, was dunkel wirkt. Doch eines scheint sicher: Wer über diesen Stein verfügt verfügt über die Kreaturen Fenglus. Und wer über die Bestien herrscht, dem steht die Herrschaft über weit mehr offen.
Doch zurück zu der Nachricht von Fenglus Tod: Dawyr Haelan war, und nichts anderes ist von einem Herrscher zu erwarten, erschüttert von dem Tod des großen Herrn. Und zu der Zeit, da der Lindwurm seine Gedanken nicht auf Vellas Than richtete, ließ Dawyr nicht über weiteres Vorgehen beraten, der Wille nach Macht und die Krone in greifbarer Nähe bewegten ihn zum ersten Volksverrat, dem in diesen Tagen noch weitere folgen sollten.
Kapitel II – Von Jubel und Macht
„Volk von Vellas Than, hört an, was ich euch zu berichten habe, denn Schreckliches erzählt man in unseren Landen: Fenglu il-Mach Than, unser geliebter Herrscher, hat Endurias auf ewig verlassen, denn die Götter haben uns die Elascar genommen wie sie sie uns einst gaben. Und Fenglu hat mich, Dawyr Haelan, zu seinem Nachfolger nach Recht und Geburt bestimmt. Ich werde euch durch diese Zeit leiten, und mit euch will ich das Andenken an unseren gütigen Herrn, der uns allen mehr gegeben hat, als bloß einen Ort zum Leben, bewahren, auf dass Fenglu il-Mach Than nie in Vergessenheit gerate. Geht nun, und macht euch an eure Arbeit. Schon morgen werde ich verkünden, wen ich in den Kronrat des großen Turmes berufe. Auf dass Fenglu niemals in Vergessenheit gerate!“
So begann die Herrschaft der Menschen über Vellas Than, doch sie sollte nicht lange währen. Denn der Lindwurm in der Spitze des Turmes begann, wieder zu Leben zu erwachen. Über diese Kreaturen ist nicht viel bekannt, doch heißt es, dass die Intelligenz und Klugheit der Drachen imemr noch in ihnen wohnt. Und der Drachensohn begann, die Herrschaft über Turm, Stadt und Volk von Vellas Than an sich zu reißen.
Denn das Volk stand in einer Starre. Fenglu hatte es vermocht, alle Völker zu vereinen. Jedoch, seine Güte war meist eine Maske für Grausamkeit und Herrschsucht gewesen, ließen nicht wenige Kehlen zu dieser Zeit verlauten. Und so kam es, dass zumindest die wenigen Männer und Frauen, die vom Widerstand wussten, eine Feier ausriefen. Nicht wenige schlossen sich ihnen an, denn nun, da Fenglu fort war, musste niemand mehr seine Rache fürchten, und es zeigte sich, dass die Zahl derer, die einen Groll gegen den Herrscher hegten und nun offen von Hass sprachen größer als erwartet war. Fenglus Diktatur hieß in ihren Reihen fortan Tyrannei und noch wusste niemand von der Bestie, die nun im Turm ihr Unwesen trieb.
In der Nacht, als die Feiernden auf den Plätzen der Stadt begannen sich zurückzuziehen, kam es zum ersten Konflikt zwischen denen, die sich Herrscher nannten, und denen die herrschen wollten: Dawyr Haelan sendete seine Palastwache aus, um die Feiernden festzunehmen, doch hatte er nicht mit der Zahl derer gerechnet, die der Aufstand bereits um sich geschart hatte. Die Namen, die dabei genannt werden müssen, sind: Von den Menschen der Händler Luag Cendanwan, von den Zwergen Thurin Erdenfaust, Nachfahre des Recken Therin Erdenfaust,von den Elfen Fürstin Ailithil Falywyr, die einst die Wälder um Vellas Than ihre Heimat nannte, von den Gnomen Knathu Donnerwetter, Nachfahre von Mratesch Donnerwetter, der den Posten des obersten Konstrukteurs im Turme innehatte und schließlich von den Halbelfen Nilith Feentanz, ein Seiltänzer von den Spielleuten, die nahe des Tores ihr Lager hatten.
Und um diese, die alsbald als die Führer ihrer Völker hevortaten, scharten sich nun jene, die Dawyr Haelan seine Krone streitig machen wollten. Die Kämpfe auf den Straßen hätten wohl blutig geendet, doch plötzlich erleuchtete ein Licht die gesamte Stadt und die Kämpfenden erhoben ihre Köpfe zum Turm.
Die einzige Tat, für die Dawyr Haelan gerühmt werden musste, geschah schon in der ersten Nacht seiner Herrschaft. Denn als er auf dem Turm die Niederschlagung der Feiern in den Straßen beaufsichtigte, sah er, was sich außerhalb der Mauern der Stadt abspielte: Die Bestien und Monster, die Fenglu einst geschaffen sammelten sich, und es schien, als sinnten sie danach die Stadt zu stürmen. Ob es Lumetis war, der ohne Ruf herbei eilte, oder ob der Herr des Turmes selbst diese Entscheidung fällte, ist nicht überliefert, doch ließ er sofort die vier Erzmagier der Stadt auf den Turm holen. Der, der sich dem Feuer verschrieben hatte, erleuchtete sofort die gesamte Stadt. Der Erdmeister begann, die Kreaturen vor den Toren zu verzaubern, und auch die Herren von Luft und Wasser setzten ihre Macht ein, die Mauern der Stadt zu schützen. Und Dawyr Haelan verkündete vom höchsten Punkt des Turmes mit magisch verstärkter Stimme die Gefahr, die vor den Toren schwelte.
Und immer noch ahnte niemand vom Lindwurm im Turm, der Fenglus Stein nutzte, um die Bestien in die Stadt zu treiben, um das zu vernichten, was ohne seinen Meister nichts mehr wert war.
Kapitel III – Von Bestien und Einheit
Die Macht der vier Erzmagier war nicht groß genug, um die Bestien zu vernichten, doch das Vermächtnis das Fenglu seinem Volk hinterlassen hatte, konnte aufgehalten werden. Aber die erste Hürde dieser Schlacht ward eine andere. Denn Fenglu, der es vermochte die Zukunft zu verstehen, jedoch nicht in sie zu blicken, hatte nach den Horras Feldzügen angeordnet dass alle Waffen in die Kellergewölbe des Turmes gebracht werden sollten, da es dem Herrn über Stadt, Volk und Turm auch gebühre über Krieg und Waffen zu walten. Auf den Besitz einer Kriegswaffe stand fortan die Gefangenschaft in den Untiefen des Turmes, und die Erzählungen verheißen Schreckliches.
Dawyr Haelan sendete die Wachen des Turmes aus, ihre Waffenkammern zu öffnen, und es gab keinen, der sich dem Befehl, die Waffen unter das Volk zu verteilen widersetzte, doch die Fehden unter Völkern und Familien traten nun stärker zu Tage. Kein Elf gab einem Zwergen oder gar einem Halbblut eine Waffe, die kleinen Völker boykottierten sich gegenseitig, und die Menschen, die die Freundschaft aller Völker gleichermaßen suchten, schienen durch den Hass um sie herum fast erdrückt zu werden, weil sie sich auf keine Seite zu schlagen wagten. Und die Halbelfen, die ohnehin den Kontakt mit Anderen vermieden, zogen sich in der allgegenwärtigen Angst nur mehr unter Ihresgleichen zurück.
Während das Volk sich bewaffnete, begab sich der Lindwurm in die Kammer des Herrschers, und wütend stellte er fest, dass dort, wo einst Fenglu sein Haupt gebettet hatte, nun Dawyr Haelan schlief. Fenglus Wurm beschloss, Rache zu üben, und den Menschen aus dem Turm zu verbannen. Und das Unheil von Vellas Than drohte fortan nicht mehr nur von den Bestien, sondern auch von ihrem Herrn. Fenglus Wurm wollte Vellas Than zerstören, so viel stand fest.
Die erste Bürgerwehr von Vellas Than stand bereit, als die Sonne sich müde über den Horizont erhob. Ein jeder in der Straße, die er seine Heimat nannte, nur die wenigen, die sich zu den Führern des Aufstandes zählten, hatten sich nahe der Spielleute an den Toren versammelt. Es waren nicht mehr als vier Dutzend Männer und Frauen aus allen Völkern, doch waren es die Elfen, die unter ihnen zweifelsfrei am geringsten an Zahl waren, und die Halbelfen, von denen sich die meisten hier zum Beraten versammelt hatten. Die Diskussion verlief hitzig und ungeachtet der Nähe der Bestien. Hier am Tor würden sie zuerst einbrechen, das war allen bewusst, und ganz in der Nähe lagerten mehr als 8 Dutzend Turmwachen, schwer gepanzert, mit Speeren und Schwertern gleichsam bewaffnet.
Der Rat der Aufständigen sollte noch zusammensitzen, bis die Sonne sich ganz erhoben hatte. Dann schwärmten sie aus, ein jeder zu Familie und Freunden, um sein Viertel gegen die Bestien in den Kampf zu führen. Die Kraft der Magier auf dem Turm endete, als die Himmelskönigin fast an ihrem höchsten Platz stand. Und die Bestien benötigten nicht lange, um zu begreifen, dass sie nun niemand mehr hinderte in die Stadt einzufallen. Niemand, bis auf Tausende verzweifelter Bürger, die sich zum Krieg gewappnet hatten.
Das Haupttor, beschlagen mit den feinsten Verzierungen stürzte als erstes, dann barsten, in dieser Reihenfolge, das Feentor im Westen, das Sonnentor im Osten und zuletzt das Schattentor des Nordens. Sie alle fielen und sofort trampelten Hunderte von den schrecklichsten Bestien Fenglu il-Mach Thans über sie. Von den Kunstwerken, die einst die Stadt verschlossen, blieb nichts als Staub und Span.
Kapitel IV – Von Krieg und Verdammnis
Es waren grauenhafte Wesen, die, so berichten jene die fliehen konnten, dort eindrangen. Die meisten von ihnen geschaffen vom Herrn der Stadt, andere lebten bereits seit den Kriegen der Macht in den Weiten Endurias, doch in diesen Tagen witterten sie alle die Gelegenheit, die sich ihnen bot. Orks und Goblins stürmten in die Stadt, feige versteckt hinter den Schöpfungen Fenglus. Zuerst kamen dort die Rabenwesen, gedrungene Wesen mit Rabenköpfen, dann die gefürchteten Rattenmenschen, die den Tod nicht nur im Kampf bringen, Lindwürmer, junge Drachen, doch bereits alt genug, um die Mauern einzureißen, an ihrer Seite Golems, keine, die die Elascar einst schufen, doch auch sie fegten Haus und Hort hinweg, gefolgt von wütenden Trollen, mit Haut wie Leder und Pranken wie Kinderkörpern. Einzelne berichten sogar davon, gegen Basiliske und Schrate gekämpft zu haben und wenigstens ein Titan stieg über die Mauern von Vellas Than. Und unter ihren waren noch hunderte anderer Wesen, geschaffen aus zwei Rassen und durch schwarze Magie in ihre widernatürliche Form gezwungen, doch finden sich keine Aufzeichnungen darüber und es ist schwer, zwischen Gerücht, Wahrheit und Heldengeschichten zu unterscheiden.
Die sichersten Erzählungen von diesem Kampf, der in Schrecken und Grausamkeit schon den Kriegen um die Macht aus der alten Zeit gleicht, sind jene von Ailithil Falywyr, die den Kampf um Vellas Than überleben sollte, und Genyc Cendanwan, dem Sohn von Luag Cendanwan.
Ailithil Falywyr kämpfte nahe des Tores mit den Spielleuten. Hier traf der Angriff die Stadt zuerst und am Härtesten, denn die meisten Wesen drangen hier ein und nicht wenige der Turmwachen flüchteten, erschrocken vor Zahl und Grausamkeit der Monster Fenglus. Doch Gaukler sind klug und Artisten wendig, sodass der Angriff gar mehrere Stunden zurückgehalten werden konnte. Nur die Trolle schafften es, von dort in die Stadt einzudringen und vereinten sich mit ihren Brüdern, die vom Schattentor und den Breschen im Westen und Südosten gekommen waren.
Bis zum Sonnenuntergang hielten sich die Spielleute, dann befahl Fürstin Falywyr den Rückzug, denn nicht viel weniger als die Hälfte ihrer Leute war tot oder kampfunfähig, und mit der Hilfe der Bogenschützen, die sich in den Häusern in ihrem Rücken verschanzt hatten, gelang es, dass sich alle in die nahen Handelskontore retten konnten.
Dort führte Luag Cendanwan seine Truppen in die Schlacht. Die meisten davon Menschen, gestählt von der harten Arbeit in den Lagern und auf den Feldern im Norden der Stadt und geübt im Kampfe gegen die Bestien, die nicht selten versucht hatten in die Bauernsiedlung dort einzudringen, denn dort war Fenglus Bannkreis schwächer als in der Stadt. Doch in diesem Kampf nutzte all dies nichts mehr, Fenglu war tot und seine Bannkreise gefallen. Die Krieger in den Handelskontoren ließen immer nur kurz ihre Wunden versorgen, dann stürzten sie wieder hinaus in den Kampf, der vor allem auf den großen Plätzen der Stadt tobte. Doch viel der Mischwesen streunten durch die engen Gassen und Genyc Cendanwan verlor dabei Schwester und Mutter, als ein Bergwolf sie in der engen Bettlergasse anfiel.
Die ersten Gerüchte, überbracht von Kriegern, denen das Leben soeben aus der Seele floss, besagten nichts Gutes. Die Erzmagier auf dem Turm hatten zwar ihre Arbeit wieder aufgenommen und auch andere Magiebegabte aus allen Völkern waren zur Hilfe geeilt, doch der zweite Volksverrat nahm langsam Schemen an. Die Elfen hatten ihre Hilfe in der Höhe von Vellas Than versagt und auch aus den Straßen zogen sich ihre Krieger immer mehr zurück. Denn das Volk der Spitzohren plante Schreckliches. Ihre Obersten sahen keinen Sinn mehr in der Schlacht, denn zu viele Monster waren bereits eingefallen, und sie beschlossen, zu fliehen.
Und als die Dunkelheit die Schlachtfelder übermannte waren nur noch wenige der Elfen in der Stadt, unter ihnen Ailithil Fallywyr, die inzwischen mit den Bogenschützen von den Herrenhäusern der Händler ihre Salven auf den Marktplatz abfeuerte. Doch auch zu ihren Füßen stand es nicht gut um die Krieger. Die Halbelfen standen zusammengedrängt um den großen Brunnen und die Menschen hatten sich bereits in einem Haus verschanzt, lediglich die Zwerge suchten noch einen Ausweg aus den Engen des Platzes, denn an einigen Stellen schichteten sich schon die Leichen höher als die Köpfe der kleinen Bartträger. Es stand wahrlich nicht gut um Vellas Than, doch der Gnom Knathu Donnerwetter ersann einen Plan, der die Rettung hätte bedeuten können.
Kapitel V – Von Feind und Bruder
Das Amt des Chefkonstrukteurs, der, so schrieb es schon Mratesch Donnerwetter in seinen Tagebüchern, Fenglu mit dem Leben Rechenschaft über den Zustand des Turmes und seine Keller abzulegen hatte, wurde seit jeher in der Familie vererbt. Knathu bekleidete dieses Amt in dritter Generation, doch in seiner Amtszeit hatte Fenglu begonnen, sich mehr und mehr zu verändern. Er zog sich immer öfter in seine Keller zurück und der Turm scherte ihn nun noch weniger als in den Jahrhunderten zuvor. So hatte sich auch der Bund zwischen der Familie Donnerwetter und dem großen Than immer weiter aufgelöst. Knathu konnte nach eigenem Ermessen Verbesserungen und Reparaturen am Turm vornehmen. Und er begann, sich seine eigene Meinung von seinem Herrn zu bilden. Die fiel im Übrigen nicht sonderlich gut aus.
Und der Konstrukteur, der in langen Jahren sein Handwerk bei seinem Vater gelernt hatte, kannte den Turm besser als jedes andere Wesen. Seinen Plan legte er den Führern von Menschen, Zwergen und Elfen im Handelskontor der Cendanwans vor. Knathu Donnerwetter wollte die Bestien Fenglus in die Kellergewölbe des Turmes locken. Waren dann alle Kreaturen dort unten und das Volk in den Gewölben vereint, mussten nur noch die Zwerge, die sich mit Gestein auskannten, an den richtigen Stellen einige Breschen in den Turm schlagen während Knathus Gnome die wichtigsten Stützbalken des Kellers lösen wollten, sodass die Bestien im Keller durch die herausfallenden Decken allesamt erdrückt würden, während das Volk über die geheimen Gänge, die auf die Ebene hinaus führten, dem Schrecken der Stadt entfliehen können würden. Und auch wenn der Plan riskant war, immerhin bestand die Gefahr, dass Teile der Stadt oder gar der Turm mit einsackten, sodass auch das Volk begraben wurde, so wollten Luag Cendanwan und Ailithil Fallywyr ihn doch sofort umsetzen. Mit einer Zusage der Halbelfen rechnete man sowieso, doch Ziphelys hatte auch dieses Mal seine Finger im Spiel.
Das Tagebuch der Menschentochter Falana Sonnenhaupt beschreibt den Geist der Zwietracht und des Schabernack als ein vor Schadenfreude gackerndes Männlein, das über den Schornstein des Kontors kam und Thurin Erdenfaust Dinge ins Ohr flüsterte. Und der Zwergenfürst erlag der Redekunst des freien Geistes. Sein Stimme war laut und deutlich auf der Straße zu vernehmen, als er die Hilfe des Zwergenvolks für das Vorhaben untersagte, ja er drohte sogar den Zwergen des Volkes, sollten sie sich den Aufrührern anschließen, die die Werke seiner Vorfahren zerstören wollten. Und wie es das Schicksal wollte, so hielt sich das Volk der Zwerge an den verwirrten Rat ihres Obersten. Der dritte Volksverrat von Vellas Than hatte Gestalt angenommen. Und der Vierte sollte nicht lange darauf folgen. Denn die Halbelfen, die die Stärksten unter den Völkern waren, wollten ebenfalls nicht den Turm zum Einsturz bringen und die verbleibenden Monster in die Tiefe treiben. Sie zogen einen fairen Kampf über der Erde einem feigen Morden unter der Erde vor. Dies war bei weitem nicht die Einstellung aller, doch die meisten Halbelfen schlossen sich der Stimme des Kriegerfürsten Ewyn Schmetterfaust an und wiedersetzten sich dem Rat von Nilith Feentanz, der seinerseits bereit war, die Übrigen in die Schlacht zu führen, doch dies muss trotz des Mutes einzelner als der vierte Volksverrat gewertet werden, weil sie jene, die nicht in der Lage waren, das Schwert im Kampf zu erheben, sehenden Auges ihrem Untergang entgegen gehen ließen.
So würde Knathu Donnerwetter ein Dutzend Gnome in die Keller von Vellas Than führen, um alle Tore zu öffnen und den Untergang tausender Ungeheuer vorzubereiten, um das Volk zu retten, welches seine Habseligkeiten zusammenpackte, um die Flucht vorzubereiten.
Kapitel VI – Von Helden und Tod
Doch der Plan musste noch ein wenig aufgeschoben werden, denn das Schicksal, die Götter oder das Glück standen dem Volk ein weiteres Mal zu Seite. Es war ein Gnomenmädchen, Dara Grünkinn, das blutend und der anderen Welt nahe in das Handelshaus der Cendanwans geschleppt wurde. Aus ihrem Mund kam kaum mehr als ein Stöhnen, doch ihre Worte waren vernehmbar für jene, die hören wollten: „Der Drache … Meister Haelan ... Feuer und Bestien ... Stein … Will nicht sterben ...“. Und mit den Worten gegen den Tod auf den Lippen trat Dara Grünkinn aus dem Leben, sie hinterließ ein Haus voller Helden, die nicht wussten, was sie glauben sollten.
Und auch dieses Mal brachte Knathu Donnerwetter die Erlösung, war sie noch so tödlich, denn schon lange kannten jene, die den Turm ihr Zuhause nannten, das Gerücht vom großen Lindwurm Fenglus, jenem Drachenkind, das alle Monster, die der Neuschöpfer je auch die Welt ließ, an Bosheit und Intelligenz übertraf. Mit ihm war für Fenglu der Aufstieg in die Reihen der Götter geschafft, so voll von Verblendung war der größte der Elascar, und nun war aus dem Übel im Turm eine Gefahr für die Stadt geworden.
Es waren die Führer der drei großen Völker, Ailithil Falywyr, Luag Cendanwan und Nilith Feentanz, die sich Schulter an Schulter vor das große Tor von Vellas Than begaben, dem Tor das nicht hinausführte und das noch größeres Unheil hinter sich barg.
Der Weg zur Spitze des Turmes war weder schwer noch beschwerlich, die alten Karten des Mratesch Donnerwetter waren weiterhin gültig, lediglich die Schönheit des Turmes, die es zu bestaunen galt, war ein Hindernis, ebenso wie mehr als ein Dutzend versperrte Türen. Doch Nilith Feentanz war der Kunst der Diebe mächtig und die schwere Schulter Luag Cendanwans riss mehr als eine Tür aus ihren Angeln.
Und die Spur des Drachensohns war leicht aufzunehmen. Wo er seinen Schwanz geschwungen hatte, waren Scharten in Tür und Wand gerissen, wo er seinen heißen Atem ausströmen ließ, waren Brandflecken auf Boden und Decke und wo er seine Klauen in etwas gerammt hatte, lagen nun die Leichen der letzten im Turm verbliebenen und Trümmer. Es war eine Spur der Zerstörung, die der Drache hinter sich gelassen hatte, eine Spur des Hasses, der in Fenglus Herzen wohnte.
Der Lindwurm Thans lag in der einstigen Höhle seines Herrn. Der erste, der den Raum betrat, war Luag Cendanwan. Ein Mann von großer Statur, ein Recke und Held auf dem Schlachtfeld, doch hinter seinem Bart und den starken Armen verbarg sich ein gütiger Geist, ein kluger Mensch und liebender Vater. Ihm folgte Ailithil Falywyr. Wer sie kannte, nannte sie die schönste unter allen Elfenwesen. Ihr Haar war von der goldenen Farbe des Sonnenlichts, und ihr Antlitz trug selbst in Zeiten größter Not eine Spur Hoffnung und Freude. Sie trug selbst im Kampf ein Kleid, das ihre Züge umschmeichelte und ihre Bewegung trug eine Anmut in sich, die nicht wenige der Krieger in den Schlachten zum Träumen verleitete. Lediglich das Schwert, das in ihrer Hand lag, vermochte ihren Glanz zu trüben, denn es glänzte und triefte von dunklem Blut der Bestien. Und noch etwas gab es, das die Vollkommenheit Ailithils zu trüben vermochte. Denn ihr Herz war längst nicht mehr von dem Lachen ihrer Züge erfüllt. Nie in den langen Jahren ihres Lebens hatte sie sich gebunden, nie hatte sie sich einem Mann versprochen. Und nun, zu der Zeit, da der Tod näher schien als das Leben, hatten ihr die Götter die Liebe ins Herz geschickt. Die Liebe zu einem Helden zwar, doch eine unglückliche Liebe. Denn niemand ahnte, was die wundersame Elfe mit den rauen Menschenhändler verband, allein sie vermochte es zu fühlen, doch nicht auszusprechen. Und ihnen folgte der Vertreter des Halbelfenvolks. Nilith Feentanz war klein, fast von der Statur eines Kindes, sein Haar trug er in langen, dunklen, kunstvoll auf dem Rücken verflochtenen Zöpfen. Doch durch seine Schnelligkeit, durch das Geschick, mit dem er seine Dolche zu führen vermochte, war er im Kampfe jedem Ungeheuer gewachsen. Ein Lindwurm jedoch, ein Drachenkind, ist kein Gegner gegen den man zu kämpfen versucht. Man flieht, wenn man einem gegenübersteht.
Diese drei Helden waren vielleicht die einzigen Wesen in Endurias, die einem Lindwurm Antlitz in Antlitz gegenüber standen, die dem Tode sicher ausgeliefert waren, und die doch zu den Waffen griffen. Zuerst jedoch soll noch von etwas berichtet werden, das die Geschicke der Welt mehr verändern konnte und sollte, als alles andere in diesen Tagen. Denn der Drache war nicht allein in diesem Raum. Ailithil Falywyr sollte nachher von einem Schauer berichten, einem Grauen, das dort sein Unheil zu verbreiten suchte. Es war ein Stein, von der Größe einer Menschenfaust etwa, ein Stein aus Obsidian, durchzogen mit feinen, rot pulsierenden Linie, fast wie Adern, gearbeitet von den fähigsten Schleifern der Zwerge und gefasst in feinstes Elfensilber.
„In ihm glommen der Hass und die Wut Fenglus, denn wer über den Stein gebietet, gebietet über die Armee Fenglu il-Mach Thans, über die Bestienarmee des Neuschöpfers. Wer diesen Stein besitzt, besitzt die Macht, über Tod und Leben zu entscheiden. Und dieser Stein, einst von Drachen geschaffen, gehörte dem Drachenkind.“ Dies waren die Worte Ailithil Falywyrs, und keinem ist es bisher gelungen, die Macht dieses Dinges besser in Worte zu kleiden.
Zum Kampf: Einem Wesen dieser Größe ist nichts an einem Kampf auf so kleinem Raum gelegen. Und so dauerte es nicht lange, bis Fenglus Wurm sich mit einem Fauchen aus den Fängen seiner Feinden entwand und floh. Hinauf auf die Spitze des großen Turmes, hinauf an den Ort, an dem die Schlacht entschieden werden sollte.
Dort, an der Spitze des Turmes von Vellas Than, nahe dem Abgrund, wo das Umland ebenso zu sehen ist wie das Unheil, das den Recken gegenüber stand, kam es zum entscheidenden Kampf. Mit Feuer und Geschrei, mit Funken und Schlägen, mit Schwert und Kralle, mit Körper und Schwanz wurde gekämpft, und jene, die in der Überzahl waren, fügten dem Monster kaum eine Wunde zu. Doch Nilith Feentanz wusste, wie man einen trägen Gegner zu besiegen vermag. Sein kleiner Körper schnellte nach vorn und traf den Wurm am Bauch, nicht durch einen Speer oder ein Schwert starb Fenglus liebste Bestie, es war der Dolch eines Halblings, der dieses Unwesen aus dem Leben ritt und seinem Herrn den Stein anvertraute. Doch der Sieg wurde mit großem Unheil gekauft. Denn in dem Moment seines Todes stürzte sich der Drache seinen Feinden entgegen. Und auch wenn jene, die das Blut der Spitzohren in ihren Adern tragen, sich den Klauen entwanden, so blieb für Luag Cendanwan dazu keine Zeit. Der tapfere Händler stürzte in den Tod, und er hinterließ nicht nur ein trauerndes Volk, sondern auch ein gebrochenes Herz. Denn die sanfte Pflanze der Liebe, die im Herzen der Fürstin gewachsen war, zerfiel in dem Augenblick, in dem ihr Liebster fiel, zu Staub und Erde, und in ihrer Brust verblieb nichts als ein Loch, das niemand mehr zu füllen vermochte.
Es war Nilith Feentanz, der die Elfe vom Abgrund hinwegzog, der den Stein Fenglu il-Mach Thans an sich nahm und der die verbliebenen Führer der Völker in die Gewölbe des Turmes brachte, wo ihre Untertanen, Freunde und die sie liebenden sehnsüchtig gewartet hatten und nun vor Freude genauso trunken waren wie vor Trauer. Denn der Sieg über die Bestien war möglich, weil Luag Cendanwan gefallen war.
Doch noch war der Krieg nicht vorüber. Die Macht des Lindwurms über die Bestien war gebrochen, jedoch die Bosheit Fenglus Bestien sollte ausreichen, um die Verbleibenden zu vernichte. Denn keiner der Helde vermochte es, den Stein zu nutzen, und die Erzmagier von Vellas Than waren nicht mehr im Turm zu finden. Der Plan Kanthu Donnwetters war der letzte Ausweg, Vellas Than musste verlassen werden.
Kapitel VII – Von Sieg und Verderben
Die Gefolgsleute von Nilith Feentanz hatten gute Arbeit geleistet und auch die Kaufleute Luag Cendanwans, worunter sich nicht wenige Frauen und sogar einige Kinder geschlichen hatten, hatten ihre Sache gut gemacht. Die Überlebenden aller Völker hatten sich in die Keller geflüchtet und ihnen hinterher hatte man die Bestien getrieben. Die Gnome Knathu Donnerwetters standen bereit, um die Balken zu lösen. Das Unterfangen war für alle ein Tanz auf einer Klinge. Ein falscher Schritt, eine Unachtsamkeit, und der Abgrund drohte, und selbst ein unachtsames Handeln auf richtigem Wege konnte den Tod bedeuten. Und so traf es viele mutige Männer und Frauen der beiden verbliebenen Völker, die wahrhaft einer Rettung entgegen strebten.
Jedoch konnte niemand mit dem fünften Verrat rechnen, den ein Volk an den anderen begang. Denn die Gnome lagen seit jeher unter sich im Streit. Und die Fehde zwischen den Familien Donnerwetter und Eichenbalk war weithin bekannt. Doch dass sich Jakobus Eichenbalk, ein einflussreicher Herr im kleinen Volk, zu einer solchen Freveltat hinreißen ließ, ist zwar durch die Aussagen seiner Frau, die überlebt hat und einiger Menschenkinder gesichert, doch ihre Beweggründe liegen in Vellas Than verschüttet. Denn Jakobus Eichenbalk hatte drei der dreizehn Gnome bestochen, auf dass sie die wichtigen Balken an ihrem Platz ließen, um die Verräter, die die Kellergewölbe zerstören wollten einen schrecklichen Tod im Kampf gegen die Bestien bestreiten zu lassen.
Dass sowohl der Plan Knathu Donnerwetters als auch der Plan Jakobus Eichenbalks scheiterte, ist auf den Titanen, der bereits die gesamte Nordstadt zerstört hatte zurückzuführen. Keine Wesen in Endurias gibt es, lässt man die Drachen außer Acht, die über solch eine Macht und Kraft verfügten, gepaart mit natürlicher Bosheit ein teuflisches Gebräu. Denn gerade als der größte Teil der Ungeheuer und Mischwesen in die Keller getrieben worden war, unter dem Opfer vieler tapferer Männer und Frauen, erreichte der Titan den Turm. Und in seiner blinden Wut auf alles, was lebendig ist, riss er ihn ein. Sein Füße brachen in die Keller von Vellas Than und seine Pranken rissen den Turm und alle, die unter ihm waren in den Tod. Die Zahl der Bestien, die dort begraben liegen, ist ungeklärt, ebenso wie die Zahl derer, die sich auch nur auf hundert Fuß in der Nähe des Turmes befanden und verschüttet wurden und jener, die in den Gewölben Schutz gesucht hatten, als das Werk tausender kleiner Hände in sich zusammenbrach und die gesamte Stadt unter sich begrub.
Und all jene, denen die Götter das Leben geschenkt hatten, flohen nun über die Ebene, mit nichts als dem, was sie an ihrem Leibe trugen, gen Palandur. Doch das, was es zu retten gegolten hatte, war verloren. Der Stein Fenglus war in den Händen des großen Nilith Feentanz verschüttet worden, der tapfere Spielmann von den Trümmern des Turmes begraben und das Artefakt, das den Sieg bedeutet hätte war unwiederbringlich verloren. Und der Weg vom Westen ward weit und die schwächsten unter den Flüchtenden überlebten die Reise nicht, ebenso wie viele Kinder und Alte und die meisten derer, die ihre Waffen gegen die Monster ergriffen hatten, starben an ihren Verletzungen, die niemand auf dem beschwerlichen Weg heilen konnte.
Das Volk von Vellas Than, das fünf Mal verraten wurde, verließ seine Heimat, doch ihr Ziel sollte nicht die gewünschte Erlösung bringen, denn auch nach Palandur war der Bürgerkrieg gekommen.
Epilog – Von Leben und Zukunft
Vellas Than, der große Turm Fengu il-Mach Thans, war gestürzt und er hatte die Stadt um ihn herum begraben, denn mit der Zeit, da immer mehr Trolle und andere Ungeheuer sich in der Stadt niederließen, brachen auch die restlichen Gewölbe ein, und das Wissen um die Enklave von Vellas Than ward auf ewig verschüttet. Heute gibt es nur noch wenige, die von den Untaten Fenglus, aber auch von den rauschenden Festen und dem gütigen Herrn wissen. Denn allenfalls einige der Elfen, die aufbrachen, um vor ihrer Zeit zu fliehen, könnten überlebt haben. Doch es gibt Geschichten, die von einem Feuerschein handeln, der am Westhimmel am Tage ihrer Flucht erschien, und nicht wenige sehen darin die späte Rache der Götter an dem ersten Volk, das sich offen gegen die anderen erhob.
Wir alle müssen unsere Lehren aus dieser Erzählung schließen, denn alles, was hier beschrieben steht, ist so oder so ähnlich geschehen, und auch, wenn viele Geschichte und Heldentaten wohl mit ihren Helden ins Grab sanken, so ist doch das Ausmaß von Verrat und Heldentum von Vellas Than hierin erkennbar.
Ein jedes Volk beging im Verlauf des Kampfes nach dem Fall der Elascar einen Verrat an den anderen freien Völkern Endurias. Dawyr Haelan schwang sich auf einen Thron, der niemandem gebührte. Das Volk der Elfen floh aus einer Schlacht, in der es den Sieg bedeutet hätte. Die Zwerge widersetzten sich dem Plan, der das Volk von Vellas Than unter geringen Opfern hätte retten können. Das Halbelfenvolk eilte nicht zur Hilfe, als sie von Nöten gewesen wäre. Und schließlich beging ein Einzelner aus dem Volk der Gnome den Verrat, der den Sieg für die Bestien brachte.
Doch wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich dann, wenn die Schwäche der Völker wahrhaft zu Tage tritt, der Einzelne, und sei er auch noch so klein, schwach oder unbedeutend, etwas großes bewegen kann. Der Heldenmut des Luag Cendanwan, der nie ein Schwert geführt, muss in unserer Erinnerung bleiben. Er brachte dem Volk den Sieg, auch wenn er selbst dafür sein Leben ließ. Der tollkühne Plan, ersonnen von Knathu Donnerwetter, der sein Leben für das Wohl aller in den einbrechenden Tiefen ließ, muss uns ein Weisung an Einfallsreichtum und Heldenmut sein. Die Fürstin Ailithil Falywyr, die sich ihrem eigenen Volk widersetzte und für die freien Völker Endurias kämpfte, muss ein Vorbild sein. Ebenso Nilith Feentanz und seine Gefolgsleute, die in einem aussichtslosen Kampf ein unwürdiges Ende fanden. Und zuletzt dürfen wir nicht die vergessen, die ihr Leben ließen, weil sie sich gegen die Elascar erhoben und eines grausamen und ungerechten Todes starben.
Mein letztes Wort soll aber jenen gelten, die im Kampf für das, an was sie glaubten, ihr Leben ließen, ohne dass ein Dichter oder Gelehrter je von ihnen hörte. Ihr seid die Helden der fünf freien Völker! An euch müssen wir uns messen, werden wir doch nie den wahren Heldenmut der Gefallenen des Bürgerkrieges ermessen können.