Das Kind

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Ein Experiment des Feuerteufels

Aspekt I

Das Kind saß auf dem grauen Boden und spielte mit ein paar Murmeln aus Basalt. Die Kugeln klickerten hohl hin und her und kugelten unwirklich, zu ungeeignet war das Material aus dem sie bestanden. Bald würde es das Kind auch begreifen und nach besseren verlangen. Bis auf einen Lendenschurz war es nackt, denn die Luft innerhalb des Turmes war heiß und stickig und doch nicht anders, als hätte der Junge im Freien gespielt. Zu dieser Zeit des Jahres war die Hitze noch größer als sonst, doch alle die hier lebten, waren daran gewöhnt, wie daran, das Wasser der grünen Lagune zu trinken.

Der Alte strich sich durch den dünnen Bart unterhalb der Unterlippe, sodass ein scharrendes Geräusch ertönte. Fingernägel auf borstigem Barthaar. Das schwarze Haar bäumte sich unter der Berührung des harten Fingernagels auf und fuhr erschrocken in die Ausgangsposition zurück, während es innerlich aufschrie. Nachdenklich lehnte er sich in seinem Stuhl am Schreibtisch zurück, strich seinen Bart zurecht und beobachtete den Jungen.

Das Kind.

Seine eh schon dunkle Miene verdüsterte sich zusehends, als er die Schreibfeder beiseite legte, die er in der anderen Hand gehalten hatte. Er schob das Pergament, auf das er merkwürdige Zeichen und Tabellen gemalt hatte, von sich weg und stützte die Hand aufs Kinn, den Arm auf den Tisch aus edlem Eichenholz gestellt. Das Holz der Eiche lebte in der Hitze der Wüste am längsten und so hatte er vor einiger Zeit – es mochten nun Jahre oder Jahrzehnte her sein, Zeit war relativ in seinen Händen – das beste Holz der Mondeiche beordert, um sich Mobiliar daraus fertigen zu lassen. Nun war der Turm durch und durch von Mondeichenmöbeln durchflicht, das grau anmutende Holz passte sich gut in den trockenen und kargen Stein seines Turmes ein. Sein Blick schwenkte weg von dem Jungen über die zahlreichen Bücherregale, welche die Wände seines Studierzimmers säumten, so viele Werke, die er Isilla Mir‘syrval abgeschwatzt hatte, es war wahrlich ein Wunder gewesen, war sie doch immer so emsig darauf bedacht, nichts aus ihren Händen zu geben.
Unsere Königin der Argusaugen. Ein grimmiges Lächeln legte sich auf seine Lippen und verzerrte sein Gesicht auf merkwürdige Art und Weise, als er an seine bittere Rivalin dachte, die im Eis des Nordens hauste und ihren Turm der Eiskristalle blutig verteidigte. Eine kalte Schönheit. Die Schönste der Schönen und doch hässlich wie die Nacht, entstellt durch Hass und Habgier, wie er selbst. Er versuchte sich ihr Gesicht vorzustellen, doch es bildete sich nur eine Fratze vor seinem inneren Auge. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zu.

Dem Kind.

Dem Kind, das gerade in diesem Augenblick, als Surisarn seine Augen unter den zusammengekniffenen Augenbrauen wieder auf es legte, anfing zu weinen, weil eine seiner Murmeln entzwei gebrochen war. Sie lag in zwei ungleich große Hälften zerteilt vor seinen Füßen, das unstete Material des Srigragent hatte dem Spiel des Kindes seinen Tribut gezollt.
Das Gesicht des Kindes lief ob der Tränen und der Hitze rot an, doch dann versiegten sie so schnell, wie sie gekommen waren und mit einer lässigen Handbewegung nahm es die Überreste der Murmel in die Hand, um sie eingehend zu untersuchen.

Gut so, frohlockte der Alte, er lernt wie eh und je für sich allein, ohne das man ihm etwas sagt oder ihm hilft... Sein Gesicht verzog sich abermals zu einem grimmigen Lächeln, allerdings war es ein Ärger, dass die Entwicklung des Kindes so langsam vonstatten ging. Fast war es ihm schon gewesen, als sei sein Versuch vor einiger Zeit gescheitert gewesen, doch dann hatte er begriffen, dass ein langes Leben auch eine lange Kindheit und Entwicklung mit sich bringen musste. Es war wohl ein Gesetz des Lebens, das er da entdeckt hatte, einer langen Kindheit würde sich eine lange Blüte seiner Jahre anschließen.
Er musterte das namenlose Kind, das gerade dabei war, mit den Fingern über die rauen Stellen der zerbrochenen Kugel zu streichen. Die Haut war hellbraun gebrannt, beinahe bronzefarbend, heller Flaum bedeckte seinen Kopf und das Gesicht war das, eines hübschen Menschenkindes. Es war ja auch ein Menschenkind, kein Makel war zu sehen, es war perfekt. Und nur Surisarn wusste um das Geheimnis, das der Junge in sich barg, das Geheimnis seiner Herkunft und seines Blutes, das ein Makel oder ein Segen sein konnte. Das würde nur die Zukunft zeigen und irgendwann würde er sich seinen Namen verdienen und seine Rolle in der Geschichte Endurias spielen.

Dann fiel sein Blick auf das Glas der Sanduhr. Es war Zeit den Halbelfen im Verlies seinen täglichen Besuch abzustatten, er rieb sich die Hände, Zeit für seine Versuche. So erhob er sich, band sich das dunkle Haar erneut zu einem straffen Zopf und verließ das Turmzimmer.

Das Kind blieb allein zurück, so wie immer, und beschäftigte sich weiterhin mit den Murmeln aus schroffem Basalt.