Im Flammenkessel

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Diese Sage ist eine von vielen, die versuchen, die Entstehung des Untodes zu erklären. Die drei kurzen Schriftrollen fand Azura Debonaire, als sie im Grauland weilte, um dort nach den Bardyk Adamdar zu suchen.


Im Flammenkessel I

In der Zeit um Jimanes Dürrefest verzehrten große Feuer die Wälder südlich von Batumh. Mensch und Tier flohen vor den tödlichen Flammen, und keine Macht der Welt konnte Sarmakands Raserei Einhalt gebieten. Die Götter berieten, was zu tun sei, doch der Geist der Natur konnte dem Treiben nicht tatenlos zusehen. Und so machte sich Zernalon auf, um seine Schützlinge zu geleiten. Und Umandia, die Herrin des Wassers, für seine Sache zu gewinnen.

In den Hainen angekommen scharte er die Tiere um sich. Der mächtigste von ihnen war ein schwarzer Bär, riesenhaft an Gestalt und mit Pranken bewährt, welche größer waren als der Brustkorb eines Menschen. Er war alt und hatte im Walde für Gerechtigkeit gesorgt, so dass Zernalon ihn nun ansprach: "In all den Jahren hast du für Wölfe und Rehe, für Schwache und Starke gleichermaßen gesorgt. So wirst du nun die Führung übernehmen, während ich Umandia aufsuche und mit ihr rede. Bringe all jene in Sicherheit, die nicht auf sich selbst achten können. Die anderen aber sollen zurückbleiben und gegen die Flammen kämpfen. Sie dürfen den Wald nicht verlassen. Ich werde wieder zu euch stoßen, wenn der Morgen graut."

Der Bär brummte zustimmend und trabte von dannen, Reh und Wolf gleichermaßen hintendrein. Immer mehr Tiere schlossen sich dem Zuge an, so dass er den ganzen Tag über wuchs. Oft drohten die Flammen, einen Kreis um die Flüchtenden zu schließen, doch der alte Bär fand immer wieder einen sicheren Pfad. Selbst nachts ging es weiter, Feuerschein erhellte den Weg, und nach der Mondwende war der Rand des Waldes in Sicht.


Im Flammenkessel II

Nun aber versperrte ein großer Fluss den Weg, und keine Furt oder Brücke führte über das reißende Wasser. Mit vereinten Kräften bearbeiteten die Biber und größeren Tiere einen Baum, um ihn über die Fluten zu werfen, so dass er eine Brücke bilden mochte. Das Feuer kam indessen immer näher, und schloss schon bald einen Halbkreis, so dass die Flucht über den Fluss der einzige Ausweg war.

Endlich stürzte der Baum krachend hernieder, und bereitete eine Brücke zur Flucht. Doch brachen die Äste am anderen Ufer nicht vollständig ab, sondern spießten sich in den Boden und hielten die Baumkrone einige Schritt in der Luft. Unsicher schwankte der Stamm hin und her. So entschied sich der alte Bär, welcher das schwerste Tier von allen war, zuerst zu gehen. Sein Gewicht würde das Geäst brechen, so dass der Stamm sicher am anderen Ufer lag. Vorsichtig stieg er hinauf, drückte mehrmals prüfend mit den Vorderpranken auf die Rinde und balancierte dann langsam weiter.

Vom Ufer sahen die anderen Tiere zu, wie ihr Anführer sich auf dem Stamme abmühte. Mehrmals war er kurz davor, das Gleichgewicht zu verlieren, hielt sich jedoch mit den Krallen immer wieder fest. Bei jedem Schritt wackelte der Stamm, knackte das Holz, knisterten die Äste, die immer tiefer in den Boden einsanken. Der Alte kletterte behände weiter, bis er an die Baumkrone kam. Stark wankte der Baum unter der Last, seine schlanken Äste würden jeden Augenblick brechen. Auch der Bär sah dies, und nur eine Lösung bot sich an. Drüben drängten sich die Tiere näher zusammen, doch wagte es keines, auf die unsichere Brücke zu steigen. Er blickte zurück, dann seufzte er und erinnerte sich an sein Versprechen. Seine Vorderpranken erhoben sich hoch in die Luft und fuhren auf den Stamm hernieder, Holz krachte und Äste barsten. Bis der Stamm sich neigte, auf den Boden niederdrängte und sich dabei selbst drehte. Heruntergeschleudert wurde der schwarze Bär, stieß ein letztes Mal seinen weithin hallenden Ruf aus, dann schlugen die Wellen über ihm zusammen.


Im Flammenkessel III

Die anderen Tiere drängten ängstlich auf den Stamm, der jetzt sicher lag, und liefen hinüber. Sie alle waren frei, denn der Baum lag sicher und das Feuer konnte den Fluss nicht überwinden. Ihr Anführer aber wurde mit den Fluten hinweggespült.

An Xzarrus' Tor angekommen, begehrte der alte Bär Einlass. "Ich habe mein Wort gehalten," sprach er, "und all die Tiere, welche nicht auf sich selbst aufpassen konnten, sind in Sicherheit. Lasst mich ein, mein Tagwerk ist getan."

Der Totengott aber wies ihn ab. "Welches Tagwerk, alter Bär? Zernalon hatte dich auserwählt um zu vermeiden, dass ein Tier an diesem Tor Einlass begehrt. Du hattest ihm zugesagt, all jene in Sicherheit zu bringen, die nicht auf sich selbst achten können. Da du nun hier stehst nehme ich an, dass du nicht auf dich selbst achten konntest. Also hättest du dich selbst in Sicherheit bringen müssen, um dein Wort zu halten." Und Xzarrus schloss die Pforte zur Unterwelt.

Der Bär brauste auf, seine Prangen gruben sich tief in das Holz der Pforte. Er zürnte Umandia, dass sie seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, und ihm der Einzug ins Totenreich verwehrt blieb. Denn sein Wort war nicht erfüllt. Da aber kam die Herrin des Wassers selbst vorbei, und sie sprach den Bären an.

"Was wäre, wenn du nicht in den Fluten ertrunken wärst? Wenn auch du überlebt hättest? Dann konntest du auf dich selbst achten, und statt dich in Sicherheit zu bringen, hättest du zurückbleiben müssen, um gegen das Feuer zu kämpfen. Du hättest den Wald nicht verlassen dürfen. Dein Wort war nicht erfüllbar. Zürne also nicht mir, sondern Zernalon, denn er gab dir diesen Befehl."

Niedergeschlagen legte sich der Bär vor dem Tor nieder, als ihm die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde. Er, der weise König des Waldes, hatte sich vom Geist der Natur hereinlegen lassen, um alle anderen zu schützen. Sich selbst aber hatte er mit seinem Opfer verdammt, war weder tot noch lebendig. Tage und Wochen blieb er vor dem Tor liegen, während andere ohne Frage passieren konnten. Dann aber kehrte Xzarrus zurück, und er richtete sein Wort an den Bären.

"Dein treuer Dienst im Leben soll dein Schaden nicht sein. Doch zurückschicken kann ich dich nicht, und einlassen darf ich dich auch nicht. Du wirst sein zwischen Leben und Tod, doch nicht Levonar oder Zernalon werden dein Herr sein, sondern ich. Gegen Zernalons Listen habe ich den Untod ersonnen, und du sollst die erste Kreatur sein, welche auf seinen Pfaden wandelt."

So entstand der Untod, aus Zernalons List und Xzarrus' Güte.